Brandneues

Das Riesenfaultier

Vor nur 500 oder 1000 Jahren – in der Geschichte der Erde ist das gerade mal ein Wimpernschlag – lebten auf Madagaskar unzählige riesige Tiere. Zu ihnen zählten die berühmten Elefantenvögel, eine riesige Schildkröte und ein Wesen, das man so gar nicht in Afrika vermuten würde: Ein Riesenfaultier. Faultiere, wie man sie heute kennt, kommen nur noch in Südamerika vor. Tatsächlich war das madagassische Riesenfaultier näher mit den Lemuren verwandt als mit den heutigen Faultieren. Nur äußerlich lässt sich eine frappierende Ähnlichkeit feststellen.

Lebendrekonstruktion von Palaeopropithecus ingens, © Smokeybjb

Es hat sogar vier verschiedene Arten des madagassischen Riesenfaultiers gegeben. Das größte Riesenfaultier, Archaeoindris fontoynonti, wurde 160 bis 200 kg schwer. Es lebte im Gegensatz zu den kleineren Arten wohl vorwiegend am Boden. Eigentlich ganz logisch: Die Äste eines Baumes könnten wohl so einen Giganten kaum dauerhaft tragen. Die anderen drei bekannten Riesenfaultiere bewegten sich wie heutige Faultiere kopfüber an Ästen hängend fort – und waren vermutlich genau so langsam. Babakotia radofilai wog rund 15 kg, etwas mehr als die heutigen Indris. Der Name dieses Riesenfaultiers geht übrigens ebenfalls auf den Indri zurück: Babakoto ist der Kosename des größten Lemuren Madagaskar. Mesopropithecus globiceps, pithecoides und dolichobrachion wogen geschätzte 10 kg und bewegten sich ebenfalls kopfüber durchs Geäst. Die letzten beiden Riesenfaultiere, Palaeopropithecus ingens und maximus, brachten wahrscheinlich 40 bis 60 kg auf die Waage. Hände und Füße waren hakenförmig gebogen, um das Hängen an Ästen zu erleichtern. Genauso, wie bei heutigen Faultieren die Krallen gebogen sind.

Das madagassische Riesenfaultier ernährte sich vor allem von Blattwerk. Die Zähne heute gefundener Schädel deuten zumindest klar darauf hin. Aus der nahen Verwandtschaft zum Indri lässt sich schließen, dass auch das Riesenfaultier eine sehr spezielle Diät aus einer Vielzahl verschiedenster Blätter, Knospen und Blüten benötigte. Es hat vermutlich kleine, ökologische Nischen besetzt und war entsprechend anfällig für Störungen seines Lebensraums.

Lebendrekonstruktion von Babakotia radofilai, © Smokeybjb

Warum das madagassische Riesenfaultier ausgestorben ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Man vermutet, dass die Besiedlung Madagaskars durch Menschen vor rund 1500 Jahren ein Wendepunkt für die Riesenfaultiere war. Mit ihrer behäbigen, langsamen Fortbewegung und viel Muskelmasse, also Fleisch, dürften sie eine lohnenswerte Jagdbeute gewesen sein. Vielleicht haben auch ausgedehnte Trockenperioden und das langsame Verschwinden von Wäldern zum Aus für das Riesenfaultier geführt. Dass Mensch und Riesenfaultier eine ganze Weile nebeneinander her lebten, gilt heute als erwiesen. In madagassischen Legenden wird von einem riesenhaften, kopfüber am Baum hängenden Wesen mit kurzem Schwanz berichtet. Es wird Tretretretre genannt und ist Gerüchten nach um 1600 das letzte Mal lebendig gesehen worden. Aber wer weiß, vielleicht überlebt es noch heute irgendwo in einem abgelegenen Wald, weit weg von den Menschen? Madagaskar hütet noch so viele Schätze – es würde nicht verwundern, wäre auch ein Riesenfaultier darunter.

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