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Tabus und Traditionen: Das Fady auf Madagaskar

Wer Madagaskar bereist, dem wird früher oder später auch das ein oder andere fady begegnen. Fady ist das madagassische Wort für tabu und wurde wahrscheinlich vom Indonesischen „pady“ entlehnt. Tabu ist dabei nicht die einzige Bedeutung, genauso kann fady auch heilig bedeuten. Es handelt sich dabei um Regeln, die sich auf verschiedenste Situationen, Menschen, Tiere, Orte oder sogar ein bestimmtes Verhalten beziehen. So kann beispielsweise ein Ort fady (heilig) sein, der zu Opfergaben genutzt wird und ausschließlich von bestimmten Personen betreten werden darf. Es kann aber auch fady (verboten) sein, rote Kleidung bei einer Beerdigung zu tragen, während rote Kleidung bei Opfergaben mit Bitten gegenüber den Ahnen eher üblich ist.

Hazotsifantatra
Hazotsifantatra – „Der Baum, den niemand kennt“ steht im Schutzgebiet V.O.I.M.M.A. im östlichen Hochland Madagaskars. Er ist fady: Niemand darf den Baum berühren. Er soll zu besonderen Anlässen bluten können, aber auch Wünsche erfüllen, wenn man ihn gut behandelt.

Die meisten Tabus werden zusammen mit Geschichten und Legenden weitergegeben, die den Ursprung der Regel bekräftigen sollen. So sind beispielsweise Indris für viele Madagassen fady, da in ihnen nach einer alten Legende die Ahnen der Menschen weiterleben. Ein weiteres bekanntes fady ist beispielsweise das Verbot, mit dem ausgestrecktem Zeigefinger auf Gräber zu zeigen. Stattdessen deutet man vielerorts nur mit der geschlossenen Faust oder mit der vollständig geöffneten Hand darauf. Im Nationalpark Ankarana dürfen Angehörige des Volksstammes der Merina die vielen Grotten und Höhlen nicht betreten. Dieses fady geht auf die Königsherrschaft der Merina aus dem zentralen Hochland zurück, die versucht hatten, den Volksstamm der Antakarana zu vertreiben. Diese flüchteten sich in das Höhlenlabyrinth von Ankarana. Zu den 12 heiligen Hügeln von Antananarivo darf man kein Schweinefleisch mitbringen, und einen See nahe des Canal des Pangalanes trifft das gleiche Verbot. An selbigem See ist es außerdem geboten, sich vor Besteigen eines Bootes Mund und Hände zu waschen. Außerdem gibt es eine ganze Reihe Gewässer auf Madagaskar, in denen man nicht baden darf – sei es wegen heiliger Krokodile wie im Lac Ravelobe oder wegen eines Opferplatzes an der „petite cascade“ (dem kleinen Wasserfall) im Montagne d’Ambre.

Jeder Volksstamm und jedes Dorf kann eigene fadys haben, sogar jede Familie. Festgelegt werden sie in aller Regel vom Dorf-, Stammes oder Familienältesten. Sehr selten wird nach Generationen ein fady wieder von einem anderen Ältesten aufgehoben – meistens bestehen sie auch dann noch weiter, wenn gar keiner mehr um den Ursprung des Tabus weiß. Selten passiert es heute, dass althergebrachte fadys in Vergessenheit geraten und mit der Zeit nicht mehr genutzt werden. Andere fadys werden geschickt umgangen: So ist z.B. bei einigen Volksstämmen das Jagen bestimmter Lemurenarten fady, nicht aber der Verzehr, und bei einem benachbarten Volksstamm ist es andersherum. Dann behilft man sich damit, dass der eine jagt – was für ihn nicht fady ist – und das Fleisch verkauft, während der andere es essen kann. Auch bei lockenden Gewinnen ist man heute vielerorts nicht so streng: Möchte man einen heiligen Wald betreten und dafür gut zahlen, kann man das Tabu für eine Weile mittels einer Zeremonie, bei der die Ahnen angerufen und freundlich gestimmt werden, aufheben.

Ein heiliger Baobab an der Nordwestküste in Ankify

Fadys können aber auch Nachteile mit sich bringen. So gibt es im Südosten Madagaskars einen Teil des Stammes der Antambahoaka, bei denen Zwillingsgeburten fady sind. Die Mütter werden samt ihrer Kinder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, oder die Kinder ausgesetzt und verlassen. Man hält sie einfach für Unglücksbringer. Andere fadys verhindern, dass Menschen gegen Erkrankungen behandelt werden. Da es sich hierbei um uralte fadys handelt und der Glauben an Dämonen, Ahnenkult und Heiler besonders in abgelegenen Gebieten noch tief verwurzelt ist, ist es extrem schwierig, diese fadys zu Gunsten der Menschen aufzubrechen. Auf der anderen Seite sind fadys vielerorts hilfreich, da sie bestimmte Orte, Gewässer oder Wälder seit Jahrhunderten vor der Zerstörung durch den Menschen bewahren. Auch verschiedene Tiere sind fady, was jedoch leider nur einigen davon hilft, der Bedrohung durch Umweltzerstörung und Jagd zu entgehen.

Die meisten Madagassen nehmen fadys auch heute noch ernst oder sehen sie zumindest als Richtlinien. In größeren Städten sind fadys keine ständigen Begleiter mehr, wenn auch jeder Madagasse um ihre Bedeutung weiß. Wer ein Tabu nicht beachtet, hat immerhin mit dem Unmut der Ahnen zu rechnen. Einheimische Guides wissen meist gut Bescheid und erklären Reisenden gerne, was wo zu beachten ist. Bricht man ein fady trotz besseren Wissens, wird man im besten Fall nur schief angeschaut. In jedem Fall verletzt man damit aber den Glauben der Einheimischen, den man als Gast besser respektieren sollte.

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