Brandneues

Der Baum der Reisenden

Die Ravenala, besser bekannt als der Baum der Reisenden, gehört zu den Strelitziengewächsen, wenngleich sie äußerlich eher einer Palme ähnelt. Obwohl sie heute überall auf der Welt verbreitet ist und sogar als Zierpflanze in einigen Wohnungen kultiviert wird, stammt sie ursprünglich aus Madagaskar und kommt nur dort natürlicherweise vor.

Ravenalas werden sechs bis dreißig Meter hoch und sind besonders für ihre typischen, im Halbkreis angeordneten, langen Blätter bekannt. Jedes Blatt kann bis zu drei Metern Länge erreichen. Der Stamm wird bis zu 30 cm dick. Ihren Namen hat die Pflanze durch ihre vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten gewonnen: Sie bietet dem Reisenden ein Dach über dem Kopf, wenn es regnet – noch heute sind viele Hütten auf Madagaskar mit bestimmten Ravenala-Blättern gedeckt und aus den Stämmen der Pflanze gebaut. Reisende können außerdem mit dem sich in den Blattachseln der Ravenala sammelnden Wasser ihren Durst löschen, oder ihren Hunger durch die essbaren (aber etwas mehligen) Samen und Blattspitzen stillen. Zuletzt dient die Ravenala dem Reisenden als Orientierung: Sie wächst meist in Ost-West-Richtung. Bis weit in unsere Zeit nahm man an, dass alle Ravenalas der gleichen Art angehören. Dabei kannte man auf Madagaskar bereits verschiedene Namen für die unterschiedlich aussehenden Bäume der Reisenden. Heute weiß man, dass es sechs Arten von Ravenalas auf Madagaskar gibt.

Ravenala in Andasibe
Ravenala auf einem Hotelgelände in Andasibe

Da ist zum einen die 10 bis 15 Meter hohe Ravenala blancii oder madagassisch Malama. Sie fällt vor allem als junge Pflanze auf. Junge Ravenala blancii sehen ein bisschen aus wie Nestfarne, mit ringförmig angeordneten, herunter hängenden Blättern. Das unterscheidet sie massiv von allen anderen Ravenalas, deren Jungpflanzen bereits unregelmäßige Blattfächer bilden. Man nimmt an, dass die Malama durch diese spezielle Form besonders effektiv das zum Wachstum notwendige Licht am Boden des Regenwalds einfangen kann. Entsprechend findet man Ravenala blancii auch nur in dichten Regenwäldern des Hochlands, zum Beispiel um Andasibe oder Ranomafana. Es ist wahrscheinlich die evolutionär am weitesten entwickelte Ravenala mit der speziellsten Anpassung an ihren Lebensraum.

Eine zweite Art ist die etwas schneller wachsende Ravenala menahirana oder  madagassisch Menahirana. Ihr Name beschreibt bereits ihr auffälligstes Merkmal: Mena hirana bedeutet so viel wie rote Strahlen, was auf die Färbung der Blattstiele anspielt.  Die Säume ihrer großen Blätter haben breite, trockene Ränder, die charakteristische Zickzacklinien bilden. Ravenala menahirana wächst an der Nordostküste Madagaskars von Mahavelona bis nach Mananara. Einige Bäume der Reisenden dieser Art sind aus Marojejy und Masoala bekannt. Dort, wo jedes Jahr Zyklone große Lücken in die Wälder reißen, nutzt die Menahirana die entstandenen Lücken.

Die Bemavo oder Ravenala grandis ist die dritte Art des Baums der Reisenden, und kommt vor allem zwischen 200 und 500 m im madagassischen Hochland vor. Man findet sie besonders auf sogenannten Inselbergen. Sie erreicht mit bis zu 30 Metern auch die größte Wuchshöhe. Die Blätter der Ravenala grandis sind, sobald die Pflanze ausgewachsen ist, nahezu perfekt gefächert. Sie sind im Vergleich mit den Blättern anderer Ravenalas besonders robust und ledrig. Deshalb sind es Bemavo-Blätter, die man auf vielen madagassischen Dächern findet.

Zwei unterschiedlich alte Bäume der Reisenden nebeneinander
Zwei unterschiedlich alte Ravenala madagascariensis nebeneinander

Die vierte Art ist Ravenala madagascariensis, auf madagassische Horonorona. Dieser Baum der Reisenden ist der am weitesten verbreitete auf Madagaskar und mit sechs bis zwölf Metern kein Riese. Man findet Ravenala madagascariensis entlang der gesamten Ostküste, von Tolagnaro im Süden bis etwa Maroantsetra. Nur die nördlichste Spitze Madagaskars besiedelt die Horonorona nicht. Ihre weite Verbreitung hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die Horonorona über ihre Wurzeln Sprosse bilden kann. Diese ungewöhnliche Form der Vermehrung teilt nur eine weitere Ravenala-Art. Bevorzugt wächst die Horonorona in kleinen Tälern direkt über Flüssen oder in feuchten, sumpfartigen Gebieten direkt an der Küste.

Eine fünfte Art des Baums der Reisenden ist Ravenala hladikorum aus dem zentralen, östlichen und südlichen Hochland Madagaskars um Andasibe und Ranomafana. Um Manombo herum kennt man diese Ravenala unter dem madagassischen Namen Tokam-pototra. Sie wird rund 10 bis 15 Meter hoch. Ihre Blätter bilden auch als ausgewachsene Pflanze noch einen unregelmäßigen Fächer. Und zuletzt gibt es da noch Ravenala agatheae. Der madagassische Name maroanaka könnte auf diesen Baum der Reisenden zurückgehen, sicher ist das aber noch nicht. Ravenala agatheae ist die einzige Ravenala, die man vor allem im Nordwesten Madagaskars um Ambanja heum findet. Sogar auf die Insel Nosy Be hat sie es geschafft und bis nach Mahajanga. Saisonal mag dieser Baum der Reisenden es eher trocken und warm. Wie Ravenala madagascariensis kann sie sich über Wurzelsprosse vermehren. Alle anderen Ravenalas werden vorwiegend mit Hilfe von Vögeln bestäubt, die sich auf die Deckblätter setzen, um an den Nektar in den darunter liegenden Blüten zu kommen. Die Blüten sind klein, weiß und relativ unscheinbar. Berührt ein Vogel sie mit dem Schnabel, explodiert die Blüte regelrecht und verteilt damit ihren Blütenstaub über den Vogel, der diesen dann mitnimmt zur nächsten Ravenala. Je nach Region übernehmen auch Lemuren (meist Varis) die Bestäubung, was den Baum der Reisenden zu einer noch spezielleren Pflanze macht: Nur wenige Arten weltweit werden von Säugetieren bestäubt.

Ravenala neu 8
Stamm einer Ravenala nach Brand

Ist eine Ravenala befruchtet, so bildet sie bis fingerlange Kapselfrüchte aus, in denen sich strahlend blaue Samen befinden. Die Samen brauchen besondere Bedingungen, um erfolgreich zu keimen und zu einem beeindruckenden Baum zu werden. Bei den frisch sprießenden Pflänzchen befindet sich der Stamm des Baums noch unter der Erde, erst später hebt sich die typische Krone der Ravenala in die Lüfte. Beim Wachstum ist der Baum der Reisenden Sinnbild des mora, mora Mantras Madagaskars: Er wächst langsam und bedächtig, gerade einmal 10 bis 20 Blätter pro Jahr treibt er aus.

Durch seine auffallende Form und den vielfältigen Nutzen ist der Baum der Reisenden schnell zur Wappenpflanze Madagaskars geworden. Seit 1922 schmückt die Ravenala das offizielle Siegel Madagaskars mit ihren stilisierten Palmwedeln, und seit den 1960er Jahren findet sich ihre Silhouette im Logo der staatlichen Fluggesellschaft Air Madagascar. Der Legende nach kann der Baum der Reisenden übrigens sogar Wünsche erfüllen – aber natürlich nur Reisenden, die es wirklich bis nach Madagaskar schaffen.

Lesens- und Sehenswertes zum Thema:

 

 

 

 

 

Lesen Sie auch

Die verborgene zweite Mahafalynatter

Lange gab es nur eine einzige Mahafalynatter auf Madagaskar – dachte man zumindest. 2017 fanden …